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Goldmann: "Für mich ist das eine Todesgruppe"

Der Ex-Nationalspieler und TV-Experte im Interview

Goldmann: "Für mich ist das eine Todesgruppe"

Erwartet ein schweres WM-Turnier für die deutsche Mannschaft: Rick Goldmann.

Erwartet ein schweres WM-Turnier für die deutsche Mannschaft: Rick Goldmann. picture alliance / Michael Hundt

Sie selbst haben als Spieler in Nordamerika gespielt, der DEL, den deutschen U-Nationalmannschaften und der A-Nationalmannschaft. Wohl wie nur wenige wissen Sie daher, wie groß die Unterschiede zu den Eishockey-Topnationen und Deutschland damals waren und wie es heute ist. Was ist es, dass sich seit den 1990er und 2000er-Jahren so deutlich veränderte?

Wieviel Zeit haben Sie? Das sind tatsächlich mehrere Punkte. Ein ganz wichtiger ist schon, dass sich in der Nachwuchsarbeit etwas getan hat, es ist mehr gefördert worden. Die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) hat jungen Spielern verstärkt die Möglichkeit gegeben, reinzukommen. Außerdem ist in der DEL die Erkenntnis gereift, dass auch ein deutscher Spieler offensivere Rollen bekommen kann und dies ein ganz wichtiger Bestandteil ist. Ebenso ist das Verständnis gereift, dass die funktionierende Eishockey-Nationalmannschaft ein Zugpferd für Eishockey in ganz Deutschland ist, unabhängig von Ligen.

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Und dann kommt natürlich noch dazu, dass man auch mit dem 2001er- und 2002er-Jahrgang, aus dem unter anderem Seider, Reichel, Peterka, Stützle und Szuber stammen, Glück gehabt hat, dass das zusammenkommt. Mit dieser Kombi aus erfolgreichen Spielern in der NHL, die zum Teil den Stanley Cup gewonnen haben, wie Grubauer oder Nico Sturm, und wahnsinnigem Talent wie einem der besten Spieler der Welt mit Draisaitl, der für Furore sorgt, und einer DEL, die sich verbessert hat, hat man ganz viele Säulen aufgebaut, die Eishockey immer wieder positiv ins Schaufenster gestellt haben. Dann sind schon vor dem letztem Jahr Erfolge gekommen wie Olympia-Silber oder der Halbfinaleinzug 2021.

Man muss dazu sagen, dass sich die mentale Seite der Eishockey-Nationalmannschaft - unter Marco Sturm schon - geändert hat. Das heißt, man ist nicht mehr zu einer Weltmeisterschaft gefahren, um sie zu spielen, sondern um dort Spiele zu gewinnen. Das ist ein großer Unterschied. Der Glaube an sich selbst ist immer größer geworden. Ein Gros der Mannschaft ist gleichgeblieben, auch wenn die Trainer sich von Sturm zu Kreis geändert haben, ist dies beibehalten worden. Und die Mannschaft hat sich mit diesen ganzen Sachen, die sich über die letzten zehn Jahre geändert haben, letztlich belohnt.

Kann man die derzeitige deutsche Spielergeneration daher auch als "goldene Generation" bezeichnen?

Wenn man sich die Breite ansieht und auch, wie hoch die Qualität ist, ist das deutsche Eishockey so gut aufgestellt, wie noch nie. Ob ich das als "goldene Generation" bezeichnen würde, weiß ich nicht. Aber es ist auf jeden Fall eine herausragende Generation, die wir momentan im Eishockey sehen.

Ich glaube, dass man in der Offensive mit kreativeren Spielern noch besser aufgestellt ist als im letzten Jahr.

Rick Goldmann

Heißt das auch, dass man jetzt regelmäßig mit Medaillen bei großen Turnieren rechnen darf?

Das kommt bei jeder Weltmeisterschaft wieder aufs Neue darauf an. Wenn man gleich einmal die nun kommende WM hernimmt, muss man auch anerkennen, wenn andere Nationen deutlich bessere Kader haben. Das ist in diesem Jahr bei den USA und Schweden der Fall. Schweden hat schon mit heutigem Stand 17 NHL-Spieler dabei und eine Verteidigung, die eine Allstar-NHL-Auswahl ist. Da sind absolute Granden des Eishockeysports dabei. Daher muss man erstens bei jeder WM wieder sehen, was die Gegner schicken und zweitens, wer bei Deutschland dabei ist. Das muss man vorher abwägen. Ich glaube nicht, dass man vorher einfach sagen kann, es ist normal, dass man jedes Mal eine Medaille mitnimmt.

Ein Wettbewerb, in dem alle besten Spieler der Welt mit ihren Nationen aufeinandertreffen, gab es im Welteishockey seit Olympia 2014 (Deutschland verpasste die Qualifikation) nicht mehr. Leon Draisaitl, Tim Stützle und Moritz Seider spielten daher noch nie zusammen in einem Turnier, was für viele andere Nationen und ihre besten Spieler im Eishockey auch gilt. Ein Unding?

Die WM muss man im Eishockey etwas unterschiedlich sehen. Es ist ein Turnier, zu dem die Spieler kommen, die in der NHL quasi frei haben. Trotzdem wäre es für die Sportart weltübergreifend natürlich wünschenswert, dass man die Besten der Besten sieht. Das ist ohne Frage so. Der große Vorwurf, den sich da insbesondere die NHL gefallen lassen muss, ist: Warum hat man das bei den letzten Olympischen Spielen nicht geschafft? Sei es drum. Das Positive ist, dass es ab den nächsten Olympischen Spielen (2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo; Anm. d. Red.) so sein wird. Alle NHL-Spieler aller Nationen werden vor Ort sein. Dann wird man "Best-on-best" sehen und darauf kann man sich, denke ich, als Eishockey-Fan auch wirklich freuen.

Eine silberne Basis und fünffache Verstärkung aus Übersee

Harold Kreis hat seinen finalen Kader für die WM benannt, eventuell kommt noch Lukas Reichel hinzu. Wie schätzen Sie die den Kader 2024 ein - insbesondere im Vergleich zum Silber-Kader 2023?

Mit heutigem Stand sind 15 von 25 Spielern dabei, die letztes Jahr von der Silbermedaillen-Mannschaft wieder dabei sind. Ganz klar das Prunkstück sind für mich die Torhüter. Mit Grubauer und Niederberger hat man eines der besten Torhüter-Duos der WM. Ich glaube auch, dass man in der Offensive mit kreativeren Spielern noch besser aufgestellt ist als im letzten Jahr. Wer fehlt und wehtut, ist ohne Frage Moritz Seider, der in diesem Jahr nicht teilnimmt.

Wie schwer wiegt sein Ausfall?

Moritz Seider kann man nicht mit einer Person ersetzen. Er spielt nicht mit, weil es bei ihm um einen Vertrag in der Größenordnung von 70 Millionen US-Dollar geht. Ich glaube, allein diese Summe erklärt, dass das nicht einer allein ersetzen kann. Wenn man dieses Jahr in die Verteidigung schaut, sind ein bisschen größere und stabilere Verteidiger dabei. Vielleicht hat man die Torhüterposition noch einen Tick gestärkt - und wenn man es dann noch schafft, auch die offensiveren Spieler im Sturm noch ein bisschen in die Defensive zu bewegen, kannst du das als Mannschaft ersetzen. Aber allein kannst du den Spieler nicht ersetzen.

Gab es für sie Überraschungen bei der Spielerauswahl?

Letztes Jahr war ich auf einigen Positionen, die Harry Kreis ausgewählt hat, überraschter. Letztes Jahr war es für mich vor der WM durchaus die Frage: 'Wie schauen wir eigentlich in der Offensive aus? Da hätten wir vielleicht noch den einen oder anderen brauchen können.' Die Offensive war aber nie unser Problem. Dieses Jahr schaue ich auf den Kader und sage: 'Okay, könnten wir nicht vielleicht den einen oder anderen Rollenspieler und defensiven Spieler brauchen? Wer soll die Tore verhindern?'. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass die Handschrift die gleiche ist. Es ist ein Kader, der ist unheimlich schnell, ist spielstark, kann offensiv spielen. Und damit überlasse ich es der Mannschaft, dass sie sich wie letztes Jahr findet, und vertraue da auch Harry Kreis.

Die deutsche Mannschaft wird von Anfang an die gejagte Mannschaft sein.

Rick Goldmann

Wenn man auf die Gruppe B in Ostrava blickt, sind die USA und Schweden, wie Sie schon sagten, sehr stark besetzt. Ansonsten aber ist die Gruppe nicht mit weiteren Favoriten bestückt, auch wenn gerade die Slowakei sicher auch zu beachten ist. Ist diese Gruppenkonstellation also ein Vorteil in Sachen Viertelfinalqualifikation?

Ich sehe das nicht ganz so. Für mich ist das eine Todesgruppe. Denn man spielt im ersten Spiel, am Freitag, übrigens um 16.00 Uhr zu sehen bei ProSieben, gegen die Slowaken. Das ist für mich ein absolutes Schlüsselspiel, wie man da startet, weil man natürlich auch Druck hat. Dann hat man die USA, die eine brutale Mischung aus Qualität, Rollenspielern, Superstars haben, und die Schweden mit 17 NHL-Spielern - für mich die zwei Favoriten auf die Goldmedaille. Und dann kommen die Letten, die im letzten Jahr Dritter wurden. Von diesen vier Spielen braucht man mindestens drei Punkte und das wird nicht so leicht, denn gerade gegen die Slowaken und Letten sind wir nun die Silber-Medaillisten. Die deutsche Mannschaft wird von Anfang an die gejagte Mannschaft sein. Keine Nation wird die Deutschen unterschätzen. Daher glaube ich, dass das Turnier für Deutschland extrem schwer werden wird.

Im vergangenen Jahr verlor die deutsche Mannschaft ihre ersten drei Vorrundenspiele, zog aber anschließend dennoch dank vier Siegen in Folge ins Viertelfinale ein. Ein Szenario, das auch jetzt denkbar ist?

Es ist denkbar, das Mindset wird entscheidend sein. Wollen sie da weitermachen, wo sie letztes Jahr aufgehört haben? Sind sie bereit, wieder den ganzen Preis zu zahlen, von Anfang an so zu starten? Und ich glaube, das musst du. Ich glaube, es wäre ein absoluter Vorteil, dass man es nicht mehr so Spitz auf Knopf kommen lässt wie letztes Jahr. Denn es so hinzudrehen, in den letzten vier Spielen dann vier Siege zu holen - das ist auch nicht jedes Jahr gegeben. Deshalb wären drei Punkte aus den ersten drei Spielen absolut wünschenswert, am liebsten im ersten Spiel gleich gegen die Slowakei.

Gibt es einen Spieler im DEB-Team, jenseits der Etablierten oder NHL-Spieler, der im kommenden Turnier aus dem Schatten anderer heraustreten könnte?

Da nehme ich Lukas Kälble, das ist ein Spieler, der so ziemlich alles kann. Er hat ein gutes Körperspiel, ist defensiv gut, spielt einen sehr guten Aufbaupass und hat theoretisch auch in der Offensive einen guten Handgelenkschuss. Das heißt, man kann ihn überall einsetzen und das ist vielleicht auch ein Faktor. Denn man kann Seider wie gesagt nicht ersetzen, aber Kälble ist ein Spieler, der auch eine spezielle Note und Qualität reinbringen kann.

Wenn man in die Gruppe A in Prag blickt: Wer sind dort Ihre Favoriten?

Ich freue mich auf jedem Fall schon auf Kanada. Das ist ein wahnsinnig junges Team. Das ist reine Technik und Tempo. Wenn dieses Team ins Laufen kommt, wird es offensiv absolut begeistern. Dazu haben Sie ein Torhüter-Duo aus St. Louis, das sich kennt. Dann freue ich mich natürlich auf Connor Bedard, der dabei ist als Nummer-eins-Pick mit seinen 18 Jahren. Er ist ein Wahnsinnstalent. Zudem bin ich natürlich auch wieder auf die Schweizer gespannt. Von der Torhüterposition brutal. Kommt Josi wirklich? Denn dann haben wir einen weiteren absoluten Topstar bei dieser WM. Aber auch letztes Jahr waren sie Gruppenerster und irgendwann stellt sich auch mal die Frage, ob die Schweiz auch mehr kann als nur Vorrunde.

Wie wird das DEB-Team Ihrer Meinung nach bei der WM abschneiden? Was ist Ihr Tipp?

Erst einmal muss man sich die Vorrunde anschauen. Es wird extrem harte Arbeit, aber ich glaube, dass Deutschland von der Qualität wirklich gut ist und auch ins Viertelfinale kommt. Dann muss man aber sehen, wer der Gegner wird. Ab da ist es wieder ein neues Spiel und die Karten werden neu gemischt.

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